Leipzig im Doppelpack

Leipzig im Doppelpack

Im Jahrbuch für Leipziger Stadtgeschichte sind zwei aufeinander aufbauende Artikel von Madeleine Apitzsch erschienen:

Hexerei- und Zaubereiprozesse im Amt Leipzig 1479 – 1730  (Jahrbuch 2 (2022), S. 9-45)

Das Leipziger Stadtgericht und die Prozesse um Hexerei und Zauberei 1618-1730 (Jahrbuch 3 (2023), S. 125-152)

Nachdem die grundlegende regionale Bestandsaufnahme von Manfred Wilde (Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen, 2003) zwar einige Kritik, bislang aber nur wenige Ergänzungen gefunden hat, ist es sehr zu begrüßen, wenn für einzelnen Städte oder Regionen eigene kleinere Untersuchungen entstehen, zumal dort der Raum gefunden werden kann, um einzelne Fälle eingehender zu betrachten. Hier liegt die Stärke der beiden Beiträge, die mit ausführlich benutztem Material aus dem Leipziger Stadtarchiv einige typische Züge der sächsischen Zaubereijustiz anschaulich machen. Kritisch anzumerken ist allerdings die trotz Archivnutzung deutlich unzureichende Faktenrecherche. Gleich mehrere von der NS-Hexenkartothek in die Welt gesetzte und von Wilde kolportierte Fehldarstellungen werden weiter verschleppt, obwohl lokale Studien dieses Anspruchs doch vor allen anderen Anliegen derlei unselige Abschreibe-Traditionen kappen sollten. Das betrifft namentlich Phantomereignisse wie den breit diskutierten Prozess gegen drei Minderjährige im Jahr 1632, der tatsächlich sogar vier Jugendliche erfasste (der Vierte – das einzige Todesurteil – wurde von Wilde bei Auswertung der NS-Kartothek verbummelt), und der aber gar nicht in Leipzig, sondern in Coburg stattgefunden hat. Solche Ungenauigkeiten mindern den Wert der daran geknüpften Ausführungen doch merklich. Ähnlich bestellt ist es um die Enthauptung einer Frau im Jahre 1597 und den Tod einer Verdächtigen in Haft nach ausgiebiger Folter im Jahr 1660. Beides mögen tragische Fälle sein, und sie sind mit Leipzig verbunden – aber nur durch die überregionalen Gutachtertätigkeiten der örtlichen Juristen. Mit der Stadtgeschichte haben diese Vorfälle nichts zu tun. So bleiben von vorgeblich 25 Leipziger Zauberei- und Hexenprozessen – die ohnehin sehr großzügig als solche eingestuft wurden – höchstens 20 Verfahren übrig, die überwiegend mit Freisprüchen endeten – oder allenfalls einen ungewissen Ausgang hatten. Leipzig war definitiv kein Schauplatz sogenannter Hexenverfolgungen. Es ist schade, dass dem Leser diese Einsicht verwehrt bleibt.

Leichte Kost

Leichte Kost

Nicht ganz neu, mir aber erst jetzt unter die Hände gekommen: Wahre Geschichten um Hexerei in Sachsen von Bernd Rüdiger, erschienen im Tauchaer Verlag 2019. Das schmale Buch erzählt exemplarisch von einigen Zaubereiprozessen auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen.

Wer an einer Dönerbude seinen Hunger stillt, sollte dort kein pochiertes Zanderfilet an Champagner-Crème erwarten, während umgekehrt ein Gourmet-Tempel eher selten Pommes frites mit Ketchup servieren wird. Man sollte daher dieses kleine Büchlein nach dem bewerten, was es sein möchte: Kein packender Roman, keine tiefschürfende Abhandlung, keine fußnotengespickte Dissertation. Die offenbar erfolgreiche Reihe, deren Nr. 97 hier präsentiert wird, bietet historische Häppchen für Leser mit wenig Zeit und Geduld, ideal vielleicht als Mitbringsel oder auf dem Nachttisch. Der Reihentitel „Wahre Geschichten“ ist klug gewählt, indem der Verzicht auf fiktionale Ausschmückung ebenso klar signalisiert wird wie der nichtsdestotrotz auf Unterhaltung zielende Anspruch.

Wer solchermaßen vom Elend des Hexenprozesses quasi dokumentarisch erzählen möchte, hat es nicht ganz einfach. Von vielen einschlägigen Vorkommnissen ist nicht mehr überliefert als eine Rechnung des Scharfrichters oder zwei dürre Zeilen eines mäßig interessierten Chronisten. Wo Urteile erhalten sind, umfassen die oft gerade mal eine Drittel Seite, und die noch selteneren Protokolle von Verhören sind Fragebögen, für deren Befüllung den Beschuldigten wenig individueller Spielraum blieb. Gerne wüsste man viel mehr über einzelne Menschen, die dem realen Alptraum der Vernichtung durch eine kafkaeske Justiz anheimfielen, wie auch über diejenigen im sozialen Umfeld: Nachbarn und Denunzianten, Amtsleute und Folterknechte, Geistliche und Richter. Die Quellen geben da meistens wenig her. Gleichwohl widersteht der Autor der naheliegenden Lösung, prominente Akteure in den Mittelpunkt zu stellen wie etwa den berühmt-berüchtigten sächsischen Juristen Benedikt Carpzov oder den gefeierten Aufklärer und Bekämpfer von Folter und Hexenprozess Christian Thomasius, der ein gebürtiger Leipziger war. Gesucht wird vielmehr eine Perspektive von unten, die sehr nah dran bleibt an dem, was die Archive zum Thema zu bieten haben. Folgerichtig hat der Autor auch einige Akten selbst studiert, was ungewöhnlich für ein Werk dieses Zuschnitts ist.

Gleichwohl begegnet man durchweg den üblichen Verdächtigen wie der alten Röderin aus Oederan, den Totengräbern von Großzschocher und der unvermeidlichen Sophia von Taubenheim. Überhaupt erinnern Konzeption und Auswahl stark an ältere Literatur von Karl von Weber (Aus vier Jahrhunderten, Leipzig 1857) bis Regina Röhner (Hexen müssen brennen, Chemnitz 2000). Überraschend ist einzig, dass die chronologisch geordneten Kapitel mit dem Jahr 1660 abschließen oder vielmehr abbrechen, sodass besonders dicht überlieferte Begebenheiten wie die Neitschütz-Affäre und die Annaberger Krankheit ausgespart bleiben – mit Blick auf das erzählerische Potenzial wird hier einiges verschenkt, und man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass der Autor schlicht die vorgegebene Seitenzahl erreicht oder keinen rechten Bock mehr hatte. Die prosaische Kürze, die lieblose Bebilderung und ein lustloses Literaturverzeichnis, dessen Ersteller offenbar gar nicht damit rechnete, dass man Interesse auf mehr zum Thema bekommen haben könnte, runden dieses Bild ab. Was Autor und Verlag hier bieten, ist weder sättigende Mahlzeit noch leckeres Häppchen, sondern eine Art Standard-Hamburger im Pappbrötchen – ohne Tomate, Zwiebel oder Salatblatt.

Hexen in Brandenburg

Hexen in Brandenburg

Vor einigen Wochen erschien von der Zeitschrift Die Mark Brandenburg ein Sonderheft zum Thema Hexen in Brandenburg. Auf 48 großzügig bebilderten Seiten werden 11 kurze, populär ausgerichtete Beiträge präsentiert. Das Spektrum reicht von Fallbeispielen von Zaubereiprozessen über Unheimliches bei Fontane bis hin zur Denkmalskultur. Während es somit an thematischer Breite nicht fehlt, bleibt der nicht völlig vom Thema unbeleckte Leser nach Lektüre des Heftes doch etwas ungesättigt zurück. Gründliche Recherche oder gar eigene Forschungen scheinen nur vereinzelt auf. Aber braucht es die für ein solches Heft? Dazu folgende Beispiele:

Alexander Vogel behauptet in seinem ambitioniert betitelten Beitrag Alles rechtens – der Brandenburger Schöppenstuhl während der Hexenverfolgung: „Zwischen 1550 und 1620 gab es jährlich etwa 30 Fälle, in denen über Hexen zu entscheiden war.“ Das wären 2100 Hexenprozesse in einem rechten kurzen Zeitraum, der noch nicht einmal die aus anderen Regionen bekannten Verfolgungswellen um 1630 und 1660 mit umfasst, und ebensowenig diejenigen märkischen Prozesse, für die nicht in Brandenburg an der Havel, sondern in Frankfurt/Oder, Leipzig, Rostock oder Helmstedt Rechtsgutachten eingeholt wurden. Träfe diese damit nur einen Teil des Verfolgungsgeschehens abbildende, gleichwohl bereits enorme Zahl zu, stünde die Mark Brandenburg weit oben an der Spitze der verfolgungsintensivsten Regionen in ganz Europa. Davon jedoch ist bislang nichts bekannt.

Einen Beleg für seine Behauptung bleibt der Autor schuldig. Man findet dieselbe Angabe allerdings bereits bei Otto Tschirch, in dessen Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel von 1928 (Bd. II, S. 64) zu lesen ist: „Es wirkt erschütternd, wenn man die Verzeichnisse der märkischen Hexenprozesse durchsieht und feststellt, daß von 1530 bis 1730 fast 700 derartiger Prozesse verhandelt worden sind, und daß in der schlimmsten Zeit, 1550-1620, jährlich etwa 30 Fälle vorkamen.“ Dies hat nun allerdings den Schönheitsfehler, dass es Verzeichnisse märkischer Hexenprozesse nie gab und nicht gibt, dass diese Aussage schon mathematisch in sich nicht schlüssig ist, und dass selbst die niedrigere der beiden Angaben kaum mit dem heutigen Forschungsstand in Einklang zu bringen ist. Man sollte erwarten dürfen, dass ein fast 100 Jahre später erscheinender Artikel solche für das eigene Thema zentralen Unstimmigkeiten aufklärt statt sie naiv weiter zu verschleppen.

Ähnlich Dubioses finden wir in dem Beitrag Hexenprozesse in der Altmark von Hartmut Hegeler: „In Seehausen starben bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts bis zu 200 Menschen den qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen“, fröstelt es den Autor, auf dessen eigener Webseite wir allerdings völlig andere Zahlen lesen: „In Seehausen (Altmark): 25 Verfahren mit 14 Hinrichtungen. 1 Frau starb an den Folgen der Folter. 1 Frau beging in der Haft Selbstmord.“ Woher diese Verachtfachung der Opferzahlen, wenn auch mit dem vorsichtigen „bis zu“? Vermutlich stammt sie aus dem von Hegeler sehr zu Recht zur vertiefenden Lektüre empfohlenen Werk von Lieselott Enders: Die Altmark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft in der Frühneuzeit. Dort ist S. 1282 allerdings im Umfeld von Ausführungen über den Verfolgungs-Hotspot Seehausen die Rede von „mehr als 200 involvierten Personen“, was sich jedoch nicht auf den Ort alleine, sondern auf die ganze Region bezieht. Zudem ist „involviert“ nicht gleich „qualvoll hingerichtet“. Auch so kann man Opferzahlen aufpumpen.

Es sind nicht alleine fragwürdige Zahlen, die in dem Heft auffallen, sondern auch Aussagen wie diese: „Gegen Ende des 15. Jahrhunderts setzte ein Wandel ein. Religiöse Vertreter sahen den Sieg des Christentums über den Teufel gefährdet und interpretierten die Segnungen und Heilkünste der „Praktikerinnen“ und Hebammen in einem neuen Licht.“ Dergleichen frauenbewegtes Aufwärmen von der seriösen Forschung einhellig abgelehnter Projektionen und Klischees sind kein Ausweis für ernsthafte Auseinandersetzung mit einem doch eigentlich spannenden Gegenstand. In dieser Hinsicht ist das Niveau der Beiträge recht unterschiedlich. Insgesamt ist das Sonderheft kurzweilig und spiegelt zum Teil interessante persönliche Zugänge zum facettenreichen Thema Hexen. Eine kritischere Redaktion und hier oder da etwas mehr wissenschaftliche Kompetenz hätte dem Ganzen aber doch gut getan.

Themenheft Magie

Themenheft Magie

Als ich vor anderthalb Jahren die Macher der Sächsischen Heimatblätter fragte, ob nicht in einer der kommenden Ausgaben ein Artikel zum Thema Hexen Platz finden könnte, meinten die spontan: „Warum nicht gleich ein ganzes Heft?“ – na gut… So entstand der Themenschwerpunkt „Magie und Aberglaube“. Ich selbst durfte zwei Artikel beisteuern: Einen über Nachzehrer – das sind die sächsischen Verwandten der Vampire -, wie man sich vor ihnen schützte, und welche tödlichen Verwirrungen daraus erwachsen konnten. Und eine Übersicht über Hexenprozesse in Sachsen und was dazu in den letzten Jahren geforscht und geschrieben wurde. Die weiteren Beiträge mit Themen von Alraunen bis Zauberei sind gleichfalls überwiegend volkskundlich getönt und mindestens ebenso lesenswert.

  • Karina Iwe: Dem Aberglauben und der Magie auf der Spur durch die Jahrtausende. Archäologischer Befund trifft Interpretation
  • Aletta Leipold: Die Merseburger Zaubersprüche
  • Ariane Bartkowski: Kurfürst August von Sachsen im Kontext der Alchemie des 16. Jahrhunderts
  • Gabor Rychlak: Teuflische Totengräber. Pestzauber und Nachzehrerabwehr in sächsischen Hexenprozessen
  • Gabriele Wagner: Totengeld, Scheren und Lieblingstasse. Der Friedhof von Breunsdorf und die Bedeutung seiner Grabbeigaben
  • Matthias Donath: Magie aus Reinsdorf. Geheimnisse einer Metallscheibe
  • Lars-Arne Dannenberg: Tod durch Sackung zwischen Recht und Aberglaube
  • Nadine Kulbe: Buchstabenzauber und Blutsegen. Der Volkskundler Adolf Spamer und sein Interesse an Heil und Heilung
  • Matthias Donath: Eine Alraune aus Jöhstadt
  • Gabor Rychlak: Zauberer, die nicht tanzen – Zum Stand der Hexenforschung in Sachsen

Sächsische Heimatblätter 2/2022 – Magie und Aberglaube

 

Hexenprozesse in Thüringen

Hexenprozesse in Thüringen

Mitunter bekommt man bei den Zentralen für politische Bildung für kleines Geld schöne Bücher zu historischen Themen. Zwar ist die Zeitgeschichte stärker repräsentiert als andere Epochen, stöbern lohnt sich aber allemal. Obwohl Sündenbocksuche und rechtskonforme innergesellschaftliche Gewalt eigentlich eminent politische Themen von zeitloser Bedeutung sind, sind Hexenprozesse in den Publikationsverzeichnissen allerdings kaum anzutreffen, löbliche Ausnahme: Thüringen.  Ronald Füssel, dessen Dissertation „Die Hexenverfolgungen im Thüringer Raum“ von 2003 die grundlegende Bestandsaufnahme für diesen Teil MItteldeutschlands geleistet hat, hat bereits 2001 eine populäre Einführung „Hexen und Hexenverfolgung in Thüringen“ für die LZT verfasst, von der inzwischen die dritte überarbeitete und erweiterte Auflage erschienen ist. Ausdrücklich nicht für Fachpublikum geschrieben, bietet sie eine gut lesbare und kompakte Einführung für Leser ohne Vorkenntnisse. „Das Interesse an der Thematik ist groß, das Unwissen darüber aber leider auch“, umreißt Füssel seine Zielsetzung, verbreiteten Fehleinschätzungen die Ergebnisse der Fachforschung entgegen zu setzen. Dies ist gut gelungen.

Für Leser mit tiefergehendem Interesse ist zur Neuauflage des Büchleins ein neu angelegter zweiter Band erschienen, der ein Ortsverzeichnis und eine Bibliographie liefert. Damit werden Erkundungen zur Ortsgeschichte, seien diese wissenschaftlich, heimatkundlich oder genealogisch motiviert, deutlich erleichtert. Zwar enthielt Füssels Dissertation naturgemäß dieselben Daten, deren kryptische Aufbereitung in unübersichtlichen Anhängen den Benutzer aber vor enervierende Herausforderungen stellte.  Mit dem Ortsverzeichnis liegt nun ein neues, praxistaugliches Werkzeug vor. Um es mit der Konsequenz in Sachen Benutzerfreundlichkeit aber nicht gleich gar zu sehr auf die Spitze zu treiben, stellt der Autor gleich von vornherein klar: „Dies ist ein Orts- und kein Personenverzeichnis“. Warum eigentlich nicht? Die Ausrede mag naheliegen, das bei nicht wenigen Hexenprozessen die Namen der Betroffenen nicht überliefert sind. Ist dies aber ein Grund auf halbem Wege bei der absolut begrüßenswerten Indexierung stehen zu bleiben? Nicht recht einleuchten will auch, dass ein solcher zweifelsohne ohnehin nur durch Subvention finanzierbarer Ergänzungsband nicht gleich auch unter CC-Lizenz und als PDF zur Verfügung steht – ein suboptimaler Einsatz von Steuergeldern. Immerhin kann aber auch der Nicht-Thüringer beide Büchlein bekommen, was eine sehr erfreuliche Bereicherung der Thüringer Hexen-Literatur ist.