Leichte Kost

Leichte Kost

Nicht ganz neu, mir aber erst jetzt unter die Hände gekommen: Wahre Geschichten um Hexerei in Sachsen von Bernd Rüdiger, erschienen im Tauchaer Verlag 2019. Das schmale Buch erzählt exemplarisch von einigen Zaubereiprozessen auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen.

Wer an einer Dönerbude seinen Hunger stillt, sollte dort kein pochiertes Zanderfilet an Champagner-Crème erwarten, während umgekehrt ein Gourmet-Tempel eher selten Pommes frites mit Ketchup servieren wird. Man sollte daher dieses kleine Büchlein nach dem bewerten, was es sein möchte: Kein packender Roman, keine tiefschürfende Abhandlung, keine fußnotengespickte Dissertation. Die offenbar erfolgreiche Reihe, deren Nr. 97 hier präsentiert wird, bietet historische Häppchen für Leser mit wenig Zeit und Geduld, ideal vielleicht als Mitbringsel oder auf dem Nachttisch. Der Reihentitel “Wahre Geschichten” ist klug gewählt, indem der Verzicht auf fiktionale Ausschmückung ebenso klar signalisiert wird wie der nichtsdestotrotz auf Unterhaltung zielende Anspruch.

Wer solchermaßen vom Elend des Hexenprozesses quasi dokumentarisch erzählen möchte, hat es nicht ganz einfach. Von vielen einschlägigen Vorkommnissen ist nicht mehr überliefert als eine Rechnung des Scharfrichters oder zwei dürre Zeilen eines mäßig interessierten Chronisten. Wo Urteile erhalten sind, umfassen die oft gerade mal eine Drittel Seite, und die noch selteneren Protokolle von Verhören sind Fragebögen, für deren Befüllung den Beschuldigten wenig individueller Spielraum blieb. Gerne wüsste man viel mehr über einzelne Menschen, die dem realen Alptraum der Vernichtung durch eine kafkaeske Justiz anheimfielen, wie auch über diejenigen im sozialen Umfeld: Nachbarn und Denunzianten, Amtsleute und Folterknechte, Geistliche und Richter. Die Quellen geben da meistens wenig her. Gleichwohl widersteht der Autor der naheliegenden Lösung, prominente Akteure in den Mittelpunkt zu stellen wie etwa den berühmt-berüchtigten sächsischen Juristen Benedikt Carpzov oder den gefeierten Aufklärer und Bekämpfer von Folter und Hexenprozess Christian Thomasius, der ein gebürtiger Leipziger war. Gesucht wird vielmehr eine Perspektive von unten, die sehr nah dran bleibt an dem, was die Archive zum Thema zu bieten haben. Folgerichtig hat der Autor auch einige Akten selbst studiert, was ungewöhnlich für ein Werk dieses Zuschnitts ist.

Gleichwohl begegnet man durchweg den üblichen Verdächtigen wie der alten Röderin aus Oederan, den Totengräbern von Großzschocher und der unvermeidlichen Sophia von Taubenheim. Überhaupt erinnern Konzeption und Auswahl stark an ältere Literatur von Karl von Weber (Aus vier Jahrhunderten, Leipzig 1857) bis Regina Röhner (Hexen müssen brennen, Chemnitz 2000). Überraschend ist einzig, dass die chronologisch geordneten Kapitel mit dem Jahr 1660 abschließen oder vielmehr abbrechen, sodass besonders dicht überlieferte Begebenheiten wie die Neitschütz-Affäre und die Annaberger Krankheit ausgespart bleiben – mit Blick auf das erzählerische Potenzial wird hier einiges verschenkt, und man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass der Autor schlicht die vorgegebene Seitenzahl erreicht oder keinen rechten Bock mehr hatte. Die prosaische Kürze, die lieblose Bebilderung und ein lustloses Literaturverzeichnis, dessen Ersteller offenbar gar nicht damit rechnete, dass man Interesse auf mehr zum Thema bekommen haben könnte, runden dieses Bild ab. Was Autor und Verlag hier bieten, ist weder sättigende Mahlzeit noch leckeres Häppchen, sondern eine Art Standard-Hamburger im Pappbrötchen – ohne Tomate, Zwiebel oder Salatblatt.

Hexen in Brandenburg

Hexen in Brandenburg

Vor einigen Wochen erschien von der Zeitschrift Die Mark Brandenburg ein Sonderheft zum Thema Hexen in Brandenburg. Auf 48 großzügig bebilderten Seiten werden 11 kurze, populär ausgerichtete Beiträge präsentiert. Das Spektrum reicht von Fallbeispielen von Zaubereiprozessen über Unheimliches bei Fontane bis hin zur Denkmalskultur. Während es somit an thematischer Breite nicht fehlt, bleibt der nicht völlig vom Thema unbeleckte Leser nach Lektüre des Heftes doch etwas ungesättigt zurück. Gründliche Recherche oder gar eigene Forschungen scheinen nur vereinzelt auf. Aber braucht es die für ein solches Heft? Dazu folgende Beispiele:

Alexander Vogel behauptet in seinem ambitioniert betitelten Beitrag Alles rechtens – der Brandenburger Schöppenstuhl während der Hexenverfolgung: “Zwischen 1550 und 1620 gab es jährlich etwa 30 Fälle, in denen über Hexen zu entscheiden war.” Das wären 2100 Hexenprozesse in einem rechten kurzen Zeitraum, der noch nicht einmal die aus anderen Regionen bekannten Verfolgungswellen um 1630 und 1660 mit umfasst, und ebensowenig diejenigen märkischen Prozesse, für die nicht in Brandenburg an der Havel, sondern in Frankfurt/Oder, Leipzig, Rostock oder Helmstedt Rechtsgutachten eingeholt wurden. Träfe diese damit nur einen Teil des Verfolgungsgeschehens abbildende, gleichwohl bereits enorme Zahl zu, stünde die Mark Brandenburg weit oben an der Spitze der verfolgungsintensivsten Regionen in ganz Europa. Davon jedoch ist bislang nichts bekannt.

Einen Beleg für seine Behauptung bleibt der Autor schuldig. Man findet dieselbe Angabe allerdings bereits bei Otto Tschirch, in dessen Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel von 1928 (Bd. II, S. 64) zu lesen ist: „Es wirkt erschütternd, wenn man die Verzeichnisse der märkischen Hexenprozesse durchsieht und feststellt, daß von 1530 bis 1730 fast 700 derartiger Prozesse verhandelt worden sind, und daß in der schlimmsten Zeit, 1550-1620, jährlich etwa 30 Fälle vorkamen.“ Dies hat nun allerdings den Schönheitsfehler, dass es Verzeichnisse märkischer Hexenprozesse nie gab und nicht gibt, dass diese Aussage schon mathematisch in sich nicht schlüssig ist, und dass selbst die niedrigere der beiden Angaben kaum mit dem heutigen Forschungsstand in Einklang zu bringen ist. Man sollte erwarten dürfen, dass ein fast 100 Jahre später erscheinender Artikel solche für das eigene Thema zentralen Unstimmigkeiten aufklärt statt sie naiv weiter zu verschleppen.

Ähnlich Dubioses finden wir in dem Beitrag Hexenprozesse in der Altmark von Hartmut Hegeler: „In Seehausen starben bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts bis zu 200 Menschen den qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen“, fröstelt es den Autor, auf dessen eigener Webseite wir allerdings völlig andere Zahlen lesen: “In Seehausen (Altmark): 25 Verfahren mit 14 Hinrichtungen. 1 Frau starb an den Folgen der Folter. 1 Frau beging in der Haft Selbstmord.” Woher diese Verachtfachung der Opferzahlen, wenn auch mit dem vorsichtigen „bis zu“? Vermutlich stammt sie aus dem von Hegeler sehr zu Recht zur vertiefenden Lektüre empfohlenen Werk von Lieselott Enders: Die Altmark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft in der Frühneuzeit. Dort ist S. 1282 allerdings im Umfeld von Ausführungen über den Verfolgungs-Hotspot Seehausen die Rede von „mehr als 200 involvierten Personen“, was sich jedoch nicht auf den Ort alleine, sondern auf die ganze Region bezieht. Zudem ist “involviert” nicht gleich “qualvoll hingerichtet”. Auch so kann man Opferzahlen aufpumpen.

Es sind nicht alleine fragwürdige Zahlen, die in dem Heft auffallen, sondern auch Aussagen wie diese: „Gegen Ende des 15. Jahrhunderts setzte ein Wandel ein. Religiöse Vertreter sahen den Sieg des Christentums über den Teufel gefährdet und interpretierten die Segnungen und Heilkünste der „Praktikerinnen“ und Hebammen in einem neuen Licht.“ Dergleichen frauenbewegtes Aufwärmen von der seriösen Forschung einhellig abgelehnter Projektionen und Klischees sind kein Ausweis für ernsthafte Auseinandersetzung mit einem doch eigentlich spannenden Gegenstand. In dieser Hinsicht ist das Niveau der Beiträge recht unterschiedlich. Insgesamt ist das Sonderheft kurzweilig und spiegelt zum Teil interessante persönliche Zugänge zum facettenreichen Thema Hexen. Eine kritischere Redaktion und hier oder da etwas mehr wissenschaftliche Kompetenz hätte dem Ganzen aber doch gut getan.

Himmlers Hexenkartothek

Himmlers Hexenkartothek

In der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigte sich ein wissenschaftliches Großprojekt im Auftrag der SS mit der Erforschung der Hexenverfolgung. Hintergrund war neben Heinrich Himmlers bizarrer Germanentümelei vermutlich die Absicht, Verbrechen der katholischen Kirche und/oder eine jüdische Verschwörung als Hintergrund der Jagd auf die deutsche Frau zu belegen. Gemessen am getriebenen Aufwand sind die Ergebnisse bescheiden. Man kam über eine amateurhafte Materialsammlung nur wenig hinaus.

Übrig geblieben sind vom “H-Sonderauftrag” rund 30.000 Karteikarten, die heute in Posen und in Kopie im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde lagern. Der größte Teil davon sind Erfassungen einzelner Fälle, meist mit nur sehr vereinzelten Detailinformationen. Auch von Quellenrecherche kann oft kaum die Rede sein, jedoch standen den Bearbeitern zum Teil heute nicht mehr erhaltene Bestände zur Verfügung. Als Startpunkt oder zur Abrundung von Fall- oder Ortsrecherchen ist eine Einsichtnahme daher grundsätzlich sinnvoll und seit kurzem auch online möglich.