Die ersten Zeitungen erschienen im 16. Jahrhundert nicht periodisch, sondern schilderten einzelne Ereignisse auf einem meist bebilderten Blatt oder in einem kleinformatigen Heft von vier bis acht Seiten. Solche Hefte wurden weniger von Buchhändlern als von Kolporteuren an den Mann gebracht, die Marktplätze, Kirchweihen und Gasthäuser aufsuchten und dort die häufig in Reimform gedichteten Nachrichten zu Melodien bereits bekannter Lieder sangen, um so Käufer für ihre Blätter anzulocken. Man hat es also mit hochgradig kommerziellen Produkten zu tun, deren Verfasser mehr an der Sogwirkung als an der Verlässlichkeit der Meldungen interessiert waren. Um diese noch zu steigern, verwendete man gerne Illustrationen auf den Titelseiten, die aber aus Kostengründen meist nicht eigens für diese in Kleinstauflagen hergestellten Newen Zeyttungen hergestellt wurden. Oft kramte der Drucker irgendeinen alten Holzschnitt hervor, den er noch von früheren Aufträgen rumliegen hatte, und so kam die Arche Noah vom letzten Bibeldruck auf dem Flugblatt mit der Warhafftigen Meldung vom erschrecklichen Hochwasser nochmals zum Einsatz.
Ein Beispiel für ein Recycling – um das hässliche Wort Plagiat zu meiden -, bei dem das Motiv kopiert und geringfügig verändert wurde, zeigt eine Kölner Hexenflugschrift von 1594. Die Abbildung vom zauberischen Zusammenbrauen eines Unwetters stammt ursprünglich aus Thomas Murners Narrenbeschwörung in der Ausgabe Straßburg 1518. Dort wurde satirisch allerlei menschliches Streben und Handeln als Narretei verspottet, darunter auch die abgebildeten Umtriebe verbitterter alte Weiber. Die Hagelsiederin trug darum ursprünglich eine Narrenkappe, die ihr auf ihrem langen Weg nach Köln abhanden gekommen ist.
Noch interessanter ist der Remix, der hinter dem Titelholzschnitt der Erweytterten Vnholden Zeyttung von 1590 steckt. Bei flüchtiger Betrachtung erscheint es als ein in der Hexenpublizistik gewohntes Motiv, dass ein Henkersknecht eben einen Scheiterhaufen anfacht. Aber warum steht die Hexe nicht im Feuer, sondern wird in einem Kessel gekocht? Noch rätselhafter wirkt der Umstand, dass sie dabei scheinbar mit einer kühlenden Erfrischung übergossen wird – oder handelt es sich womöglich gar nicht um eine Hexenverbrennung, sondern um eine Szene aus dem Badehaus? Des Rätsels Lösung: Wir sehen auf dem Flugblatt nicht etwa eine boshafte Teufelsbraut im Moment der wohlverdienten Strafe, sondern einen etwas effeminierten Heiligen, der soeben das ihm zugedachte Martyrium souverän an sich abperlen lässt.
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Der spätere Evangelist Johannes hatte der Überlieferung nach der in der Gegend von Ephesos einige christliche Gemeinden begründet, sehr zum Missfallen des römischen Kaisers Domitian. Der befahl deshalb, Johannes in einem Kessel mit heißem Öl zu sieden. Dies schlug allerdings fehl, denn Johannes wusste sich durch das Zeichen des Kreuzes zu retten, sodass die ihm zugedachte Qual stattdessen wie ein kräftigendes Bad wirkte. Der glaubensstarke Mann kehre in seinem Heimat zurück, verfasste das seinen Namen tragende Evangelium und starb lange später friedlich in gesegnetem Alter. Weil es eine nicht einfache Aufgabe für Maler ist, die vielen Heiligen jeweils erkennbar darzustellen, bediente man sich bei ihm dazu gerne des Ölkessels mitsamt der zugehörigen Kelle.
Die Gegenüberstellung des Titelholzschnitts der Unholdenzeitung mit einer Johannes-Darstellung aus der Schedelsch’en Weltchronik (1493) lässt klar erkennen: Hier hat der Drucker einen gebrauchten Heiligen unbekannten Ursprungs neuer Verwendung zugeführt und vielleicht sich dabei zugleich noch einen kleinen Scherz erlaubt.