Eine Teufelsbeschwörung

Eine Teufelsbeschwörung

Ein Mann in der Kleidung eines Gelehrten steht in der Mitte eines Kreises, den er mit dem noch neben ihm liegenden Schwert auf den Boden  gezogen hat. Der dünne Strich schützt ihn bei dem gefährlichen Unterfangen, dessen Zeuge wir eben werden. Der Mann hat die Hände zu einer Beschwörung gehoben. Offenbar kennt er die geheimen Formeln und Rituale auswendig, es ist kein Zauberbuch zu sehen. Er beherrscht diese Kunst, denn vor ihm steht, kaum mehr eine Armlänge entfernt, ein Dämon – wohl gar der Teufels selbst -, bereit Auskünfte zu geben, ihm zu dienen. Oder aber ihn zu zerfetzen, sollte er leichtfertig die engen Grenzen des Zauberkreises überschreiten. Von Christoph Wagner, dem Schüler des Dr. Faustus, wird in der Fortsetzung des Faustbuches von 1593 berichtet, dass ihm der halbe Fuß mitsamt den Zehen abgerissen wurde, als er eigenmächtig eine solche Beschwörung unternahm und dabei unvorsichtig die Linie ein kleines Stückchen übertrat. Doch nicht von den Gefahren für solche Zauberlehrlinge soll hier die Rede sein, sondern von der kleinen Zeichnung, die schon über 500 Jahre alt ist.

 

Man denkt unweigerlich an Faust, wenn man einen Magier im Zauberkreis sieht. Er ist es aber meistens gar nicht. Die nebenstehende Abbildung stammt vom Titelblatt eines Zaubereitraktates von 1564, in dem der bald darauf so “weitbeschrieene” Teufelsbündner noch mit keiner Silbe erwähnt wird. Dessen Berühmtheit beginnt erst ein Vierteljahrhundert später, als der Frankfurter Verleger Johann Spies ihm ein ganzes Buch widmet. Bis dahin ist der Zauberkreis lediglich das Mittel für Künstler, wenn es darum geht, Männer als Zauberer kenntlich zu machen – oder genauer gesagt als Schwarzkünstler.

Ein Schwarzkünstler oder Nigromant zaubert anders als eine Hexe. Beim Schadenzauber der Hexe (Maleficium) dachte man an Dinge wie den magischen Diebstahl von Milch, das Erzeugen von Krankheiten oder die Vernichtung der Ernte durch Hagelschauer (äußere Figuren im Bild). In der Nekromantie, wie es ursprünglich korrekt heißt, geht es hingegen darum, Geister zu beschwören. Dies tut man, damit sie Auskünfte erteilen. Die nekromantische Beschwörung arbeitet mit Gebetsformelm, ist darum eng verwandt mit dem Exorzismus und leitet sich ab von illegitimen Formen kirchlicher Magie.

Nekromanten gebieten über Geister, indem sie besonders wirkmächtige Beschwörungsformeln und -rituale anwenden, die sie aus geheimen Manuskripten kennen. Dabei darf nicht der geringste Fehler unterlaufen. Das Zauberbuch in seiner Hand ist das unentbehrliche Requisit des seriösen Schwarzkünstlers.

Eine Frau in einem Zauberkreis ist ziemlich absurd. Hexen pflegen bekanntlich geschlechtlichen Umgang mit Dämonen, wohingegen der Kreis dazu dient, sich diese vom Leib zu halten. Eine Hexe hat in einem Zauberkreis so viel zu suchen wie der Teufel im Beichtstuhl. Ebenso ist eine Schwarzkünstlerin kaum denkbar, da Frauen im Mittelalter nicht den erforderlichen Zugang zu Gelehrtenwissen hatten, sofern sie überhaupt lesen konnten. Außerdem ist die Beschwörung ihrem Wesen nach ein – wenn auch kirchlich nicht gebilligter – priesterlicher Akt und damit der „unreinen“ Frau a priori nicht möglich. Der Illustrator dieses Manuskriptes aus dem 15. Jahrhundert zeigt uns, dass auch Zeitgenossen in diesen Punkten nicht immer sattelfest waren. Er verweiblicht die gelehrt-männliche Magie. Man könnte dies allerdings als eine für das beginnende Zeitalter der Hexenprozesse typische Verschiebung der Wahrnehmung interpretieren.

Hier sehen wir mehrere Wahrsager bei der Arbeit. Derjenige rechts möchte sich offenbar nicht auf das astronomische Instrument in seiner linken Hand verlassen. Über den Totenschädel stellt er Verbindung zu einem Totengeist her. Wie immer funktioniert der Zauberkreis wie ein Stahlkäfig, mit dem sich Taucher zwischen Haie begeben können, als Lebensversicherung also. Sein Kollege in der Bildmitte, der nach antikem Vorbild in den Innereien eines Schlachtopfers „liest“, bedarf keiner solchen Absicherung.

Das interessanteste, was eigens dazu beschworene Geister einem verraten können, ist der Ort, wo verborgene Schätze vergraben liegen. Solche magischen Schatzgräbereien wurden bis ins 19. Jahrhundert häufig praktiziert, mitunter sogar von klammen Fürsten, die so ihre Kasse aufzubessern hofften. Die Herren hier im Bild haben neben dem obligatorischen Henkersschwert auch gleich das nötige Werkzeug zum Graben mit an Bord. Schatzgräber, nicht Hexen, sind die eigentlichen Nachkommen der mittelalterlichen Nekromanten. Schatzgräberei galt als zwielichtig und es tummelten sich viele Betrüger auf diesem Feld, doch wurden derlei Aktivitäten nicht wie Zauberei verfolgt.

Johannes Hartlieb (ca. 1400-1468) war Arzt, Schriftsteller und Diplomat, der mit der gelehrten Magie seiner Zeit bestens vertraut war. Für den Markgrafen Johann von Brandenburg-Kulmbach schrieb er 1456 das „Buch aller verbotenen Künste„, in dem er einen enzyklopädischen Überblick über die magischen Wissenschaften seiner Zeit gab. Sein Anliegen war vornehmlich, vor deren unterschätzten Gefahren für den Anwender selbst zu warnen, und so dreht Hartlieb manche Pirouette, um zu vermeiden, am Ende womöglich noch unfreiwillige Anleitungen zu geben. „Es gibt auch etliche Bücher in dieser Kunst, die lehren, wie man mit Kräutern, Steinen und Wurzeln die Teufel bannen und beschwören soll; wie etwa das Buch Kyraniden, das darin unterrichtet, wie man durch Mischung von Kräutern und Steinen, Fischen und Vögeln in einem dazu bestimmten metallenen Gefäß alles vom Teufel erlangen kann. Das alles ist Ketzerei, und darin steckt der Teufel und verführt alle, die daran glauben.“

Eines Tages kam Dr. Hartlieb nach Heidelberg, wo man gerade eine entflohene Hexe wieder eingefangen hatte. Er machte einen Deal mit der Frau: Sie sollte ihm ihren Wetterzauber lehren, er würde im Gegenzug ihre Begnadigung erwirken. Die Hexe erklärte ihm, wie er Hagel machen könnte: „Lieber Sohn, du mußt zu allererst Gott verleugnen und niemals mehr Hilfe und Führung von ihm begehren. Danach mußt du der Taufe und allen Sakramenten abschwören, mit denen du gesalbt und geweiht bist. Danach mußt du abschwören allen Heiligen und vor allem der Mutter Maria. Danach mußt du dich mit Leib und Seele den drei Teufeln ergeben, die ich dir nenne, und diese geben dir eine Zeit zu leben und versprechen dir, deinen Willen zu erfüllen, so lange, bis diese Zeit beendet ist.“ Ich sprach zu der Frau: „Was muß ich sonst noch tun?“ Die Frau sprach: „Sonst nichts. Wenn du die Sache begehrst, dann geh an einen geheimen Ort und rufe die Geister und opfere ihnen das…“ – was die Frau mir gesagt hat, will und kann ich hier nicht niederschreiben -, dann erscheinen sie und machen dir in einer Stunde Hagel, wo immer du willst.“ – Aus der Begnadigung wurde nichts, denn Hartlieb hatte sich ausbedungen, es dürfe die „Kunst“, die zu erlernen ihn die Neugier trieb, keinesfalls der christlichen Lehre zuwider laufen. Die Hexe wurde verbrannt.

Das Bild zeigt Johann Hartlieb, wie er der Herzogin Anna von Bayern ein Exemplar der ebenfalls von ihm geschriebenen Chiromantia (Handlesekunst) überreicht. Tatsächlich dürfte der Doktor weit mehr von Magie und Zauberei gewusst haben als die von ihm im Kerker besuchte Hexe, die wohl nur verzweifelt ihre einzige Chance zu nutzen versucht hatte.

Diese kleine Zeichnung rechts entstammt dem Dresdner Manuskript von Johann Hartliebs „Buch aller verbotenen Künste“. Das Buch ist in drei Handschriften überliefert, die an sich nicht bebildert sind. Dem Dresdner Exemplar jedoch wurde die Szene wie eine Art Titelbild seitens einer Augsburger Schreibwerkstatt vorangestellt, die diese Abschrift etwa um 1465 anfertigte. Es ist bezeichnend, dass der Illustrator diese Warnschrift als am besten durch eine Teufelsbeschwörung repräsentiert sah, obwohl doch Hartlieb gerade dem entgegen strebte.

Das Bild mit der Teufelsbeschwörung erzählt noch eine zweite Geschichte, eine über die jüngere Vergangenheit. Vor einem dreiviertel Jahrhundert wurden in Dresden in einer Nacht etwa 25.000 Menschen verbrannt – dergleichen hätte man im Mittelalter wohl selbst dem Höllenfürsten höchstpersönlich nicht zugetraut. Unterdessen lagerten viele Bücher und Manuskripte der Landesbibliothek in einem Keller, den man für bombensicher gehalten hatte. Möglicherweise war er das, aber eindringendes Lösch- und Grundwasser sorgte dafür, dass viele der unersetzbaren Stücke statt zu verbrennen absoffen und tagelang unter Wasser lagen. Daher die verwaschen-schmutzigen Farben unserer glücklicherweise noch mäßig beeinträchtigten Magierszene, die weder original noch eine normale Alterungserscheinung sind.

Aus alten Beschreibungen weiß man über unser Bild, dass der Vordergrund einmal grün und der Teufel blau war. Fotografien, leider nur in schwarzweiß vorhanden, lassen auch die Konturen teils deutlicher erkennen. Zum Beispiel ist dem Teufel sein Schwanz abhanden gekommen. Da Experten in der Lage sind, die Augsburger Schreibwerkstatt des Manuskriptes mitsamt dem namenlosen Zeichner zu identifizieren, kann man andere, unbeschädigte Werke von demselben Künstler vergleichen, um zumindest eine Ahnung von der ursprünglichen Anmutung zu erhalten. Die beiden helleren Bilder, entnommen einem Berliner Weltgerichtsspiel sind einige Jahre jünger aber wohl von derselben Hand.