Georg Bartisch

Georg Bartisch

Georg Bartisch (1535-1607) war Chirurg und beschäftigte sich hauptsächlich mit Augenleiden und urologischen Operationen. Der gebürtige Lausitzer hatte sein blutiges Handwerk schon mit 12 Jahren erlernt und auf Reisen durch Schlesien, Böhmen und Mähren Erfahrungen gesammelt. In noch jungen Jahren brachte er es zum Hofoculisten in Dresden. Berühmtheit erlangte er als Verfasser des ersten deutschsprachigen Werkes zur Augenchirurgie, betitelt Ophthalmodouleia das ist Augendienst. Nicht zuletzt die zahlreichen kolorierten Holzschnitte machen es nicht nur für medizingeschichtlich interessierte Leser sehenswert.

 

 

 

Das Starstechen ist eine ziemlich einfache und daher sehr alte Operationsmethode. Wie alle Chirurgen hatte Bartisch seine Kunst erlernt wie ein Handwerk und war also nicht studiert. Daher beherrschte er auch nicht die Gelehrtensprache Latein und veröffentlichte sein Wissen und seine Erfahrungen in deutscher Sprache.

Die lebensnahen Patientenporträts bieten mitunter verstörende Abbildungen von allen nur erdenklichen Augenleiden und sind sehenswert auch wegen der Kleidertracht der Abgebildeten. Es dürften überwiegend Dresdner Bürger um 1580 sein, denen wir hier über eine Distanz von mehr als vier Jahrhunderten ins Gesicht blicken.

Georg Bartisch war ein Kind seiner Zeit. Er wollte astrologische Einflüsse bei der Behandlung von Augenleiden mit berücksichtigt wissen, verwendete Edelsteine und andere Amulette und empfiehlt mitunter Rezepte, die für den heutigen Leser recht befremdlich und durchaus nicht erfolgversprechend klingen.

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Einen jungen Storch, der noch nie auf die Erden kommen sei. Tue den in einen unverglasten Topf, mache ihn oben fest und wohl zu, brenne ihn zu Pulver in eines Töpfers oder Bäckers Ofen. Als denn pülvers ganz klar, und vermische solches Pulver unter Eierklar, das es wird wie ein Pflaster. Das brauche mit Tüchlein auf die Augen.

Ophthalmodouleia, 1583

Deutlich positioniert sich Georg Bartisch zum in den 1580er Jahren lebhaft diskutierten Thema Hexerei. Er beklagt die Skepsis mancher Zeitgenossen und setzt dem Bibelzitate entgegen, die die Umtriebe des Teufels auf Erden nachweisen sollen. Daraus ergibt sich für ihn zugleich, dass sich nur allzuoft böse Leute als dessen Werkzeuge gebrauchen ließen. Auf Eingeben des Teufels verzauberten sie andere, die deshalb stockblind würden oder auch lahm, taub und stumm. Vielen armen Menschen seien die Augen aus dem Kopffe geschworen, sodass auch nur recht und billig sei, dass von der Obrigkeit viele dergleichen Zauberer gerichtet/ gebraten/ verbrant und geschmeucht worden seien. Dies entspricht der in Sachsen geläufigen Auffassung, Zauberei vor allem als Problem gewaltsamer Schädigung der Mitmenschen aufzufassen.

Als Mann der Praxis wusste Georg Bartisch, wovon er sprach. Mit eigenen Augen hatte er gesehen, wie manchen Patienten Nadeln, Stifte und Klammer aus den Augen geschworen waren, während an anderen Gewächse wie Äpfel oder Birnen wuchsen. Die nebenstehende Abbildung eines solchen Opfers zauberischer Schädigung (samt den erwähnten Fremdkörpern!) kommentiert Bartisch: Wer kan oder mag nun sagen/ das solches solte von Natur seyn/ und nicht von Zauberey herkommen?

Ärzte jener Zeit machten oft Werbung mit Dokumenten, die erfolgreiche Behandlungen glaubhaft machen sollten. Bartisch war auch auf diesem Feld innovativ, indem er entsprechende Listen sogar drucken ließ. In Buchform sind uns auf diese Weise einzigartige Reihen von Patientendaten erhalten. So hatte er beispielsweise George Kochs 24jähriger Tochter Anna helfen können, die durch Zauberey verderbet und gantz blind gewesen war. Matthes Schreiber war es ebenso ergangen, und er hatte dazu noch große Pein und Schmertzen erleiden müssen, so wie auch Heinrich von Isens Weib Anna und Paul Lewe. Dies sind alleine die Dresdner Patienten, die seine Dienste wegen Schadenszauber hatten in Anspruch nehmen müssen, hinzu kommen weitere Fälle dieser Art in Großenhain, Leipzig, Eisleben und anderen Städten. Bartischs in diesem Kontext bislang unbeachtete Aufzeichnungen belegen, dass die Zuschreibung schwerer Krankheitsbilder zu Zauberei in Kursachsen erheblich verbreiteter gewesen ist als die relativ wenigen Prozesse gegen mutmaßliche Hexen es vermuten lassen.

Leipzig im Doppelpack

Leipzig im Doppelpack

Im Jahrbuch für Leipziger Stadtgeschichte sind zwei aufeinander aufbauende Artikel von Madeleine Apitzsch erschienen:

Hexerei- und Zaubereiprozesse im Amt Leipzig 1479 – 1730  (Jahrbuch 2 (2022), S. 9-45)

Das Leipziger Stadtgericht und die Prozesse um Hexerei und Zauberei 1618-1730 (Jahrbuch 3 (2023), S. 125-152)

Nachdem die grundlegende regionale Bestandsaufnahme von Manfred Wilde (Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen, 2003) zwar einige Kritik, bislang aber nur wenige Ergänzungen gefunden hat, ist es sehr zu begrüßen, wenn für einzelnen Städte oder Regionen eigene kleinere Untersuchungen entstehen, zumal dort der Raum gefunden werden kann, um einzelne Fälle eingehender zu betrachten. Hier liegt die Stärke der beiden Beiträge, die mit ausführlich benutztem Material aus dem Leipziger Stadtarchiv einige typische Züge der sächsischen Zaubereijustiz anschaulich machen. Kritisch anzumerken ist allerdings die trotz Archivnutzung deutlich unzureichende Faktenrecherche. Gleich mehrere von der NS-Hexenkartothek in die Welt gesetzte und von Wilde kolportierte Fehldarstellungen werden weiter verschleppt, obwohl lokale Studien dieses Anspruchs doch vor allen anderen Anliegen derlei unselige Abschreibe-Traditionen kappen sollten. Das betrifft namentlich Phantomereignisse wie den breit diskutierten Prozess gegen drei Minderjährige im Jahr 1632, der tatsächlich sogar vier Jugendliche erfasste (der Vierte – das einzige Todesurteil – wurde von Wilde bei Auswertung der NS-Kartothek verbummelt), und der aber gar nicht in Leipzig, sondern in Coburg stattgefunden hat. Solche Ungenauigkeiten mindern den Wert der daran geknüpften Ausführungen doch merklich. Ähnlich bestellt ist es um die Enthauptung einer Frau im Jahre 1597 und den Tod einer Verdächtigen in Haft nach ausgiebiger Folter im Jahr 1660. Beides mögen tragische Fälle sein, und sie sind mit Leipzig verbunden – aber nur durch die überregionalen Gutachtertätigkeiten der örtlichen Juristen. Mit der Stadtgeschichte haben diese Vorfälle nichts zu tun. So bleiben von vorgeblich 25 Leipziger Zauberei- und Hexenprozessen – die ohnehin sehr großzügig als solche eingestuft wurden – höchstens 20 Verfahren übrig, die überwiegend mit Freisprüchen endeten – oder allenfalls einen ungewissen Ausgang hatten. Leipzig war definitiv kein Schauplatz sogenannter Hexenverfolgungen. Es ist schade, dass dem Leser diese Einsicht verwehrt bleibt.

Auf Abwegen

Auf Abwegen

Die ersten Zeitungen erschienen im 16. Jahrhundert nicht periodisch, sondern schilderten einzelne Ereignisse auf einem meist bebilderten Blatt oder in einem kleinformatigen Heft von vier bis acht Seiten. Solche Hefte wurden weniger von Buchhändlern als von Kolporteuren an den Mann gebracht, die Marktplätze, Kirchweihen und Gasthäuser aufsuchten und dort die häufig in Reimform gedichteten Nachrichten zu Melodien bereits bekannter Lieder sangen, um so Käufer für ihre Blätter anzulocken. Man hat es also mit hochgradig kommerziellen Produkten zu tun, deren Verfasser mehr an der Sogwirkung als an der Verlässlichkeit der Meldungen interessiert waren. Um diese noch zu steigern, verwendete man gerne Illustrationen auf den Titelseiten, die aber aus Kostengründen meist nicht eigens für diese in Kleinstauflagen hergestellten Newen Zeyttungen hergestellt wurden. Oft kramte der Drucker irgendeinen alten Holzschnitt hervor, den er noch von früheren Aufträgen rumliegen hatte, und so kam die Arche Noah vom letzten Bibeldruck auf dem Flugblatt mit der Warhafftigen Meldung vom erschrecklichen Hochwasser nochmals zum Einsatz.

 

 

Blutverschreibung
Närrische Hagelsiederei (1518)
Hagelhexe, Kölner Hexenflugschrift (1594)

Ein Beispiel für ein Recycling – um das hässliche Wort Plagiat zu meiden -, bei dem das Motiv kopiert und geringfügig verändert wurde, zeigt eine Kölner Hexenflugschrift von 1594. Die Abbildung vom zauberischen Zusammenbrauen eines Unwetters stammt ursprünglich aus Thomas Murners Narrenbeschwörung in der Ausgabe Straßburg 1518. Dort wurde satirisch allerlei menschliches Streben und Handeln als Narretei verspottet, darunter auch die abgebildeten Umtriebe verbitterter alte Weiber. Die Hagelsiederin trug darum ursprünglich eine Narrenkappe, die ihr auf ihrem langen Weg nach Köln abhanden gekommen ist.

Einen ähnlichen Weg hat die als Frauengestalt personifizierte Tugend aus Sebastian Brants Narrenschiff (lat. Ausgabe 1497) genommen. Über acht Jahrzehnte später (1580) wird derselbe Druckstock noch einmal verwendet. So wird Frau Tugend zur Hexe.

aus Sebastian Brant, Stultifera navis, 1497
Süddeutsche Hexenzeitung, 1580

Noch interessanter ist der Remix, der hinter dem Titelholzschnitt der Erweytterten Vnholden Zeyttung von 1590 steckt. Bei flüchtiger Betrachtung erscheint es als ein in der Hexenpublizistik gewohntes Motiv, dass ein Henkersknecht eben einen Scheiterhaufen anfacht. Aber warum steht die Hexe nicht im Feuer, sondern wird in einem Kessel gekocht? Noch rätselhafter wirkt der Umstand, dass sie dabei scheinbar mit einer kühlenden Erfrischung übergossen wird – oder handelt es sich womöglich gar nicht um eine Hexenverbrennung, sondern um eine Szene aus dem Badehaus? Des Rätsels Lösung: Wir sehen auf dem Flugblatt nicht etwa eine boshafte Teufelsbraut im Moment der wohlverdienten Strafe, sondern einen etwas effeminierten Heiligen, der soeben das ihm zugedachte Martyrium souverän an sich abperlen lässt.

 

Weiter lesen: Wolfgang Behringer über Inhalt und Hintergründe der Erweytterten Vnholden Zeyttung

Erweytterte Vnholden Zeyttung, 1590
Stefan Lochner, Martyrium des hl. Johannes, nach 1435

Der spätere Evangelist Johannes hatte der Überlieferung nach der in der Gegend von Ephesos einige christliche Gemeinden begründet, sehr zum Missfallen des römischen Kaisers Domitian. Der befahl deshalb, Johannes in einem Kessel mit heißem Öl zu  sieden. Dies schlug allerdings fehl, denn Johannes wusste sich durch das Zeichen des Kreuzes zu retten, sodass die ihm zugedachte Qual stattdessen wie ein kräftigendes Bad wirkte. Der glaubensstarke Mann kehre in seinem Heimat zurück, verfasste das seinen Namen tragende Evangelium und starb lange später friedlich in gesegnetem Alter. Weil es eine nicht einfache Aufgabe für Maler ist, die vielen Heiligen jeweils erkennbar darzustellen, bediente man sich bei ihm dazu gerne des Ölkessels mitsamt der zugehörigen Kelle.

Die Gegenüberstellung des Titelholzschnitts der Unholdenzeitung mit einer Johannes-Darstellung aus der Schedelsch’en Weltchronik (1493) lässt klar erkennen: Hier hat der Drucker einen gebrauchten Heiligen unbekannten Ursprungs neuer Verwendung zugeführt und vielleicht sich dabei zugleich noch einen kleinen Scherz erlaubt.

Erweytterte Vnholden Zeyttung, Titelholzschnitt
Schedel'sche Weltchronik 1493 - Martyrium des Evangelisten Johannes

Leichte Kost

Leichte Kost

Nicht ganz neu, mir aber erst jetzt unter die Hände gekommen: Wahre Geschichten um Hexerei in Sachsen von Bernd Rüdiger, erschienen im Tauchaer Verlag 2019. Das schmale Buch erzählt exemplarisch von einigen Zaubereiprozessen auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen.

Wer an einer Dönerbude seinen Hunger stillt, sollte dort kein pochiertes Zanderfilet an Champagner-Crème erwarten, während umgekehrt ein Gourmet-Tempel eher selten Pommes frites mit Ketchup servieren wird. Man sollte daher dieses kleine Büchlein nach dem bewerten, was es sein möchte: Kein packender Roman, keine tiefschürfende Abhandlung, keine fußnotengespickte Dissertation. Die offenbar erfolgreiche Reihe, deren Nr. 97 hier präsentiert wird, bietet historische Häppchen für Leser mit wenig Zeit und Geduld, ideal vielleicht als Mitbringsel oder auf dem Nachttisch. Der Reihentitel „Wahre Geschichten“ ist klug gewählt, indem der Verzicht auf fiktionale Ausschmückung ebenso klar signalisiert wird wie der nichtsdestotrotz auf Unterhaltung zielende Anspruch.

Wer solchermaßen vom Elend des Hexenprozesses quasi dokumentarisch erzählen möchte, hat es nicht ganz einfach. Von vielen einschlägigen Vorkommnissen ist nicht mehr überliefert als eine Rechnung des Scharfrichters oder zwei dürre Zeilen eines mäßig interessierten Chronisten. Wo Urteile erhalten sind, umfassen die oft gerade mal eine Drittel Seite, und die noch selteneren Protokolle von Verhören sind Fragebögen, für deren Befüllung den Beschuldigten wenig individueller Spielraum blieb. Gerne wüsste man viel mehr über einzelne Menschen, die dem realen Alptraum der Vernichtung durch eine kafkaeske Justiz anheimfielen, wie auch über diejenigen im sozialen Umfeld: Nachbarn und Denunzianten, Amtsleute und Folterknechte, Geistliche und Richter. Die Quellen geben da meistens wenig her. Gleichwohl widersteht der Autor der naheliegenden Lösung, prominente Akteure in den Mittelpunkt zu stellen wie etwa den berühmt-berüchtigten sächsischen Juristen Benedikt Carpzov oder den gefeierten Aufklärer und Bekämpfer von Folter und Hexenprozess Christian Thomasius, der ein gebürtiger Leipziger war. Gesucht wird vielmehr eine Perspektive von unten, die sehr nah dran bleibt an dem, was die Archive zum Thema zu bieten haben. Folgerichtig hat der Autor auch einige Akten selbst studiert, was ungewöhnlich für ein Werk dieses Zuschnitts ist.

Gleichwohl begegnet man durchweg den üblichen Verdächtigen wie der alten Röderin aus Oederan, den Totengräbern von Großzschocher und der unvermeidlichen Sophia von Taubenheim. Überhaupt erinnern Konzeption und Auswahl stark an ältere Literatur von Karl von Weber (Aus vier Jahrhunderten, Leipzig 1857) bis Regina Röhner (Hexen müssen brennen, Chemnitz 2000). Überraschend ist einzig, dass die chronologisch geordneten Kapitel mit dem Jahr 1660 abschließen oder vielmehr abbrechen, sodass besonders dicht überlieferte Begebenheiten wie die Neitschütz-Affäre und die Annaberger Krankheit ausgespart bleiben – mit Blick auf das erzählerische Potenzial wird hier einiges verschenkt, und man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass der Autor schlicht die vorgegebene Seitenzahl erreicht oder keinen rechten Bock mehr hatte. Die prosaische Kürze, die lieblose Bebilderung und ein lustloses Literaturverzeichnis, dessen Ersteller offenbar gar nicht damit rechnete, dass man Interesse auf mehr zum Thema bekommen haben könnte, runden dieses Bild ab. Was Autor und Verlag hier bieten, ist weder sättigende Mahlzeit noch leckeres Häppchen, sondern eine Art Standard-Hamburger im Pappbrötchen – ohne Tomate, Zwiebel oder Salatblatt.

Tod in Berlin

Tod in Berlin

Nur äußerst selten finden sich unter den Opfern von Zaubereiprozessen Juden, was auf den ersten Blick überraschen mag. Einzelne Unterstellungen, die Pogrome auslösen oder rechtfertigen konnten – besonders Hostienfrevel und Gier nach Kinderblut – haben starke Ähnlichkeit mit den Vorstellungen vom Hexenwesen. Aber weil Juden vom Christentum nicht abfallen konnten, da man dazu überhaupt erst einmal Christ gewesen sein muss, stand diese zentrale Motiv der Zaubereivorstellungen für sie nicht zur Verfügung. Zudem war das auch nicht unbedingt erforderlich, wenn es darum ging, Justizmorden ein Mäntelchen der Legalität zu verschaffen. Um Juden zu verbrennen, mussten sie nicht als Zauberer überführt werden. Das macht die wenigen Ausnahmen, deren bekannteste der Berliner „Münzjude“ Lippold (1530-1573) sein dürfte, besonders auffällig. Lippolds grausiges Schicksal ist eng verwoben mit der Geschichte der Juden im Brandenburg des 16. Jahrhunderts.

Berlin 1510: Ein Prozess wegen Hostienschändung

1510 kam es in Knoblauch im Havelland zu einem Diebstahl in der kleinen Kirche des heute nicht mehr bestehenden Dorfes. Der materielle Schaden war gering, jedoch fehlten zwei konsekrierte Hostien.
Der Kesselflicker Paul Fromm aus Bernau wurde einige Zeit später aufgegriffen, gestand den Einbruch und gab an, die Hostien verzehrt zu haben. Unter der Folter „korrigierte“ er diese Aussage dahingehend, eine davon einem Juden namens Salomon in Spandau verkauft zu haben.

Salomon bestätigte dies und nannte weitere Glaubensbrüder als Komplizen. So kam ans Licht, dass auf einer jüdischen Hochzeitsfeier die Teilnehmer sich an einer gemeinsamen Hostienschändung erheitert hatten, was den Täterkreis sprunghaft anschwellen ließ. Diese Ausdehnung folgt dem Muster eines ähnlich gelagerter Prozesses, der wenige Jahre zuvor die Vertreibung der Juden aus Mecklenburg eingeleitet hatte.

Die Übeltäter bekannten obendrein, ähnlich wie die Hostie Jahre zuvor ein vierjähriges Kind von einem Christen gekauft zu haben. 10 Gulden wollten sie dem bärtigen Verkäufer dafür gegeben haben.

Aus Gier nach Christenblut hatten sie das Kind mit Nadeln zerstochen und ihm zuletzt die Kehle abgeschnitten, vermeldet die Flugschrift, der diese Illustrationen entnommen sind. Geschichten dieser Art waren nicht zuletzt durch ähnliche Publikationen zu früheren Pogromen und Vertreibungen in Wort und Bild verbreitet.

Am 6. Juli 1510 wurden in Berlin 39 Juden lebendig verbrannt, zwei weitere wegen ihrer Bereitschaft zur Taufe zur Enthauptung begnadigt. Auch Paul Fromm – rechts im Bild – endete auf dem Scheiterhaufen.

Die überlebenden Mitglieder der jüdischen Gemeinden Brandenburgs wurden aus dem Land gejagt. Niemand zweifelte an den absurden Untaten, die in dem Prozess unterstellt worden waren.

Noch vor seinem Tode hatte Paul Fromm seine Bezichtigung der Juden gegenüber seinem Beichtvater als erzwungen und unwahr bekannt. Der davon informierte Bischof gebot dem Priester jedoch, dieses Wissen für sich zu behalten. Viele Jahre später verschlug es den Priester nach Wittenberg, wo so der Justizmord als solcher bekannt wurde. Der Reformator Melanchthon hielt Kurfürst Joachim II. 1539 das Unrecht vor, dass sich unter dessen Vater ereignet hatte. Bald darauf erlaubte Joachim die neuerliche Ansiedlung von Juden in der Mark Brandenburg – wenn auch gewiss nicht vorrangig der Gerechtigkeit wegen

Kurfürst Joachim II. und das Geld

In Form von Steuern, Schutzgeldern und durch Kreditbeschaffung waren Juden eine finanzielle Stütze der Landesherren und halfen so, deren Macht auszubauen. Das machte sie unfreiwillig zu einem Spielball politischer Ränke. Pogrome und Judenvertreibungen waren oft nicht vorrangig religiös motiviert, sondern gestatteten es Schuldnern, sich ihrer Gläubiger kostengünstig zu entledigen. Zugleich aber ließen sich so christliche Herrscher als indirekte Nutznießer jüdischer Einkünfte wirtschaftlich schwächen und die innerchristliche Machtbalance in einem Territorium verschieben. Judenfeindschaft speiste sich nicht unbedingt aus irrationalen religiösen, sondern auch aus handfesten politischen Motiven. Der ältere Joachim war gewiss nicht begeistert, wegen eines zur Staatsaffäre ausgewachsenen Kirchendiebstahls seiner liebgewonnenen Judengelder beraubt zu werden. Und sein Sohn und Nachfolger wollte ebenso nicht nur erlittenes Unrecht ausgleichen, als er nach 1539 die Mark Brandenburg wieder für die neuerliche Ansiedlung solventer Juden öffnete.
Lucas Cranach der Jüngere malte um 1570 den Brandenburgischen Kurfürsten im vierten Jahrzehnt seiner Regierungszeit in der Montur eines heutigen Hiphoppers: Mit klobigen Goldketten um den stiernackigen Hals und Fingern voller Ringe fordert Joachim II. “Hector” (1505-1571) grimmigen Blickes Respekt ein. Sein Geldbedarf war auf Grund seines verschwenderischen Lebensstils immens. Eine standesgemäße, also personalintensive Hofhaltung, rauschende Feste, repräsentative Bauprojekte, anspruchsvolle Mätressen, dazu ein teures Faible für die Alchemie erforderten Mittel, die dem sprichwörtlich kargen märkischen Sand nicht ohne weiteres abzuringen waren. Woher also das Geld nehmen in einer Zeit, in der die Notenpresse noch nicht erfunden war? Brandenburg verfügte nicht über reiche Kaufleute wie die süddeutschen Reichsstädte.
Jüdische Finanzexperten wurden zur wichtigsten Finanzstütze Joachims, zu beiderseitigem Nutzen. Da war zunächst Michel von Derenburg (gest. 1549), der als Kreditvermittler eine Reihe deutscher und europäischer Herrscher stützte. Er war bekannt dafür, mit zwölfspänniger Kutsche und einer ganzen Entourage von Dienern selbst wie ein Fürst durch die Lande zu reisen und teilte in Sachen Goldbehang den Geschmack Joachims. Der hielt seine schützende Hand über ihn, als Michels Frau in Frankfurt an der Oder der Brunnenvergiftung beschuldigt wurde. Michel von Derenburg starb durch einen Treppensturz, kurz nachdem Joachim seine Freilassung nach einer Entführung erzwungen hatte. Die Flugschrift “Von Michel Juden Tode” deutete sein Ende als Ausdruck göttlicher Gerechtigkeit und machte Stimmung gegen die angeblich verjudete Mark Brandenburg. Trotz solcher Anfeindungen wurde Michel bezeichnenderweise nicht als Teufelsdiener oder Zauberer verdächtigt – anders als sein Nachfolger.

Lippolds Aufstieg

Lippold ben Chluchim stammte aus Prag und war als Kind mit seiner Familie nach Berlin gekommen. In den 1550er Jahren stieg er zur wichtigen Stütze Joachims auf. Er wurde Vorsteher der Juden Brandenburgs und damit verantwortlich für die Durchsetzung der diesen auferlegten Abgaben und Bürden. Joachim machte ihn darüber hinaus zu seinem Kämmerer, Hoffaktor und Münzmeister. Da der Geldwert an den Silbergehalt der Münzen gebunden war, ließ sich die Geldmenge – anders als heute – nur schwierig durch politische Entscheidungen vermehren. Die Juden Brandenburgs lieferten jährlich 3000 Mark Silber zur Münzprägung des Kurfürsten. Weil dies für Joachims Bedürfnisse nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, wurde der Silbergehalt der Münzen herabgesetzt und der Gebrauch soliderer ausländischer Münzen wie auch ungemünzter Edelmetalle als Zahlungsmittel untersagt. Letztere mussten zu festgesetzten Kursen abgeliefert werden, ansonsten drohten Hausdurchsuchung und Beschlagnahmungen. Kaufleute waren durch den Zwang zur Verwendung der inländischen Weichwährung zum Devisentausch gezwungen, der ihre Margen auffraß. Naturgemäß schädigt diese Art von Wirtschaftspolitik ein Land zwangsläufig zu Gunsten des zeitlich befristeten Nutzens einer dünnen Machtelite.
Neben dem Geldwechsel und dem Metallhandel betrieb Lippold auch allerlei andere Geschäfte mit Adligen und Bürgern. Für Darlehen nahm er Zinssätze von jenseits der 50 Prozent und behielt Pfänder auch bei kurzfristigem Zahlungsverzug ein. Weil quasi der gesamte Hofstaat bei ihm in der Kreide stand, büßten so einflussreiche Familien liebgewonnene Juwelen ein. Nahm Lippold selbst Darlehen auf, ging es mit der Rückzahlung weniger kleinlich zu. Im äußeren Auftreten orientierte er sich an seinem Vorgänger. Kurzum: Der Mann hatte eine ausgeprägte Begabung, sich erbitterte Feinde zu schaffen und war darum auf Gedeih und Verderb Joachim II. ausgeliefert, der seinerseits seinen pompösen Lebensstil auf eine zerrüttende Wirtschafts- und Währungspolitik stützte.
Nachdem Joachim II. am 3. Januar 1571 überraschend verstorben war, erbte sein Sohn Johann Georg einen gigantischen Schuldenberg. Brandenburg stand ein Umbruch bevor, und es war absehbar, dass so manche bislang hochrangige Persönlichkeit würde froh sein können, wenn es nur an Rang und Pfründen ging. Bezüglich seiner Mätresse Anna Sydow hatte Joachim vorgesorgt und Johann Georg das Versprechen abgenommen, sie zu schonen. Wie nötig das war, zeigt ein Brief, den der mit ihm verwandte Herzog von Braunschweig kurz nach Joachims Tod an Johann Georg schrieb: Er äußert darin seine Sorge, das „bose bludtlestrige schendiche Weib“ könne ungestraft davon kommen, wiewohl sie doch „nicht die geringste vrsach“ am plötzlichen Absterben Joachims gewesen sei. Zum „guten abscheulichen Exempell“ für andere solle der Erbe Sorge tragen, dass sie nicht ungestraft an Leib und Leben davon käme. Die „schöne Gießerin“, so ihr Spitzname, wurde bis an ihr Lebensende in der Zitadelle Spandau in Haft genommen. Der Sage nach wurde sie gar im von ihr zuvor bewohnten Jagdschloss Grunewald eingemauert und treibt deshalb seither als „Weiße Frau“ in den Schlössern der Hohenzollern ihr Unwesen.

Lippolds Fall

Nach Joachims Tod ließ Johann Georg die Berliner Stadttore verriegeln, damit von den Günstlingen des Vaters keiner entkäme. Auch Lippold ben Chluchim wurde arretiert und wegen Veruntreuung und Unterschlagung angeklagt. Trotz akribischer Buchprüfungen konnte ihm jedoch kein straffähiges Fehlverhalten nachgewiesen werden. Als nach fast zwei Jahren in Hausarrest seine unvermeidbare Freilassung nur noch wenige Tage bevorstand, geschah etwas gar Seltsames: Durch die Türe seiner Wohnung drangen Geräusche eines heftigen Streit an das Ohr der dort noch immer postierten Wächter, und sie hörten Lippolds Eheliebste Mararete keifen: “Wenn der Kurfürst wüsste, was Du für ein Schelm bist und was Du mit Deinem Zauberbuch alles zuwege bringst, dann würdest Du schon längst kalt sein!.” Damit wurde die Entlassung natürlich hinfällig, und obendrein wurde besagtes Zauberbuch bei der fälligen Durchsuchung tatsächlich gefunden. Lippold bat darum, ihm die Folter zu ersparen, und legte ein umfängliches Geständnis ab. Nun ging es nicht mehr um Unterschlagung, sondern um Zauberei und Giftmord an Joachim II., dem Lippold wohl am Abend vor dessen Ableben einen Becher Wein gereicht hatte. Seinem Geständnis nach hatte er den Teufel beschworen, sich ihm ergeben und einigen namhaft genannten Menschen durch Zauberei mit teils tödlichen Folgen geschadet. Sein Zauberbuch hatte ihn gelehrt, wie er sich den Kurfürsten gewogen machen konnte. Dass er seinen Gönner schließlich vergiftet hatte, erklärte Lippold durch den Diebstahl einer schweren Goldkette, den er auf diese Weise vertuschen zu können gehofft hatte. Am 28. Januar 1573 wurde Lippold ben Chluchim in Berlin hingerichtet. Wie üblich, sollte er sein Geständnis zu Beginn öffentlich wiederholen. Stattdessen widerrief er, wurde darauf erneut in eine Folterkammer gezerrt und dahin gebracht, das Widerrufene nun öffentlich für wahr zu bekennen. Man band ihn auf einen Wagen, der auf dem Weg zur eigentlichen Hinrichtungsstätte immer wieder Pausen einlegte, um an diesen Stationen einen Zangenriss zu zelebrieren. Den schwersten Schwerverbrechern wurde diese Strafverschärfung auferlegt, bei der ein Henkersknecht dem Delinquenten mit einer glühenden Zange ein Stück Fleisch aus dem Körper riss oder Finger abzwickte. Üblich waren ein bis drei solcher Griffe, für vier oder gar fünf musste man schon ein Massenmörder sein oder mutwillig die Pest ausgestreut haben. Lippold jedoch sollte zehn solcher Zangenrisse erdulden, so hatte es das Urteil des Brandenburger Schöppenstuhls gefordert. Auf dem neuen Markt folgte die eigentliche Hinrichtung, die mit einer Räderung begann. Nachdem Arme und Beine zertrümmert waren, schnitt ihm der Scharfrichter die „Virilia“ ab. Dann öffnete man seinen Brustraum, um seinen Herz herauszureißen und ihm „aufs Maul“ zu schlagen. Seine Eingeweide wurden in einen Zuber geworfen und zusammen mit dem verhängnisvollen Zauberbuch verbrannt. Dabei kam eine große Maus aus dem Flammen hervorgelaufen, wodurch allerletzte etwaige Zweifel an Lippolds Schuld bei den zahlrechen Zuschauern erstickt wurden. Es folgte einen Vierteilung und das Aufhängen der Gliedmaßen an verschiedenen Galgen. Der Kopf des Juden wurde auf die Spitze des Georgentores gesteckt. Seine Glaubensgenossen, die bereits unmittelbar nach seiner Verhaftung zwei Jahre zuvor zur Zielscheibe von Ausschreitungen geworden waren, wurden abermals des Landes verwiesen. Alle Schuldscheine wurden konfisziert, die Schulden annulliert und eine Abzugsgebühr für die Vertreibung erhoben, wodurch sich die Triebkräfte der Vorgänge hinreichend enthüllen.