Tod in Berlin

Tod in Berlin

Nur äußerst selten finden sich unter den Opfern von Zaubereiprozessen Juden, was auf den ersten Blick überraschen mag. Einzelne Unterstellungen, die Pogrome auslösen oder rechtfertigen konnten – besonders Hostienfrevel und Gier nach Kinderblut – haben starke Ähnlichkeit mit den Vorstellungen vom Hexenwesen. Aber weil Juden vom Christentum nicht abfallen konnten, da man dazu überhaupt erst einmal Christ gewesen sein muss, stand diese zentrale Motiv der Zaubereivorstellungen für sie nicht zur Verfügung. Zudem war das auch nicht unbedingt erforderlich, wenn es darum ging, Justizmorden ein Mäntelchen der Legalität zu verschaffen. Um Juden zu verbrennen, mussten sie nicht als Zauberer überführt werden. Das macht die wenigen Ausnahmen, deren bekannteste der Berliner „Münzjude“ Lippold (1530-1573) sein dürfte, besonders auffällig. Lippolds grausiges Schicksal ist eng verwoben mit der Geschichte der Juden im Brandenburg des 16. Jahrhunderts.

Berlin 1510: Ein Prozess wegen Hostienschändung

1510 kam es in Knoblauch im Havelland zu einem Diebstahl in der kleinen Kirche des heute nicht mehr bestehenden Dorfes. Der materielle Schaden war gering, jedoch fehlten zwei konsekrierte Hostien.
Der Kesselflicker Paul Fromm aus Bernau wurde einige Zeit später aufgegriffen, gestand den Einbruch und gab an, die Hostien verzehrt zu haben. Unter der Folter „korrigierte“ er diese Aussage dahingehend, eine davon einem Juden namens Salomon in Spandau verkauft zu haben.

Salomon bestätigte dies und nannte weitere Glaubensbrüder als Komplizen. So kam ans Licht, dass auf einer jüdischen Hochzeitsfeier die Teilnehmer sich an einer gemeinsamen Hostienschändung erheitert hatten, was den Täterkreis sprunghaft anschwellen ließ. Diese Ausdehnung folgt dem Muster eines ähnlich gelagerter Prozesses, der wenige Jahre zuvor die Vertreibung der Juden aus Mecklenburg eingeleitet hatte.

Die Übeltäter bekannten obendrein, ähnlich wie die Hostie Jahre zuvor ein vierjähriges Kind von einem Christen gekauft zu haben. 10 Gulden wollten sie dem bärtigen Verkäufer dafür gegeben haben.

Aus Gier nach Christenblut hatten sie das Kind mit Nadeln zerstochen und ihm zuletzt die Kehle abgeschnitten, vermeldet die Flugschrift, der diese Illustrationen entnommen sind. Geschichten dieser Art waren nicht zuletzt durch ähnliche Publikationen zu früheren Pogromen und Vertreibungen in Wort und Bild verbreitet.

Am 6. Juli 1510 wurden in Berlin 39 Juden lebendig verbrannt, zwei weitere wegen ihrer Bereitschaft zur Taufe zur Enthauptung begnadigt. Auch Paul Fromm – rechts im Bild – endete auf dem Scheiterhaufen.

Die überlebenden Mitglieder der jüdischen Gemeinden Brandenburgs wurden aus dem Land gejagt. Niemand zweifelte an den absurden Untaten, die in dem Prozess unterstellt worden waren.

Noch vor seinem Tode hatte Paul Fromm seine Bezichtigung der Juden gegenüber seinem Beichtvater als erzwungen und unwahr bekannt. Der davon informierte Bischof gebot dem Priester jedoch, dieses Wissen für sich zu behalten. Viele Jahre später verschlug es den Priester nach Wittenberg, wo so der Justizmord als solcher bekannt wurde. Der Reformator Melanchthon hielt Kurfürst Joachim II. 1539 das Unrecht vor, dass sich unter dessen Vater ereignet hatte. Bald darauf erlaubte Joachim die neuerliche Ansiedlung von Juden in der Mark Brandenburg – wenn auch gewiss nicht vorrangig der Gerechtigkeit wegen

Kurfürst Joachim II. und das Geld

In Form von Steuern, Schutzgeldern und durch Kreditbeschaffung waren Juden eine finanzielle Stütze der Landesherren und halfen so, deren Macht auszubauen. Das machte sie unfreiwillig zu einem Spielball politischer Ränke. Pogrome und Judenvertreibungen waren oft nicht vorrangig religiös motiviert, sondern gestatteten es Schuldnern, sich ihrer Gläubiger kostengünstig zu entledigen. Zugleich aber ließen sich so christliche Herrscher als indirekte Nutznießer jüdischer Einkünfte wirtschaftlich schwächen und die innerchristliche Machtbalance in einem Territorium verschieben. Judenfeindschaft speiste sich nicht unbedingt aus irrationalen religiösen, sondern auch aus handfesten politischen Motiven. Der ältere Joachim war gewiss nicht begeistert, wegen eines zur Staatsaffäre ausgewachsenen Kirchendiebstahls seiner liebgewonnenen Judengelder beraubt zu werden. Und sein Sohn und Nachfolger wollte ebenso nicht nur erlittenes Unrecht ausgleichen, als er nach 1539 die Mark Brandenburg wieder für die neuerliche Ansiedlung solventer Juden öffnete.
Lucas Cranach der Jüngere malte um 1570 den Brandenburgischen Kurfürsten im vierten Jahrzehnt seiner Regierungszeit in der Montur eines heutigen Hiphoppers: Mit klobigen Goldketten um den stiernackigen Hals und Fingern voller Ringe fordert Joachim II. “Hector” (1505-1571) grimmigen Blickes Respekt ein. Sein Geldbedarf war auf Grund seines verschwenderischen Lebensstils immens. Eine standesgemäße, also personalintensive Hofhaltung, rauschende Feste, repräsentative Bauprojekte, anspruchsvolle Mätressen, dazu ein teures Faible für die Alchemie erforderten Mittel, die dem sprichwörtlich kargen märkischen Sand nicht ohne weiteres abzuringen waren. Woher also das Geld nehmen in einer Zeit, in der die Notenpresse noch nicht erfunden war? Brandenburg verfügte nicht über reiche Kaufleute wie die süddeutschen Reichsstädte.
Jüdische Finanzexperten wurden zur wichtigsten Finanzstütze Joachims, zu beiderseitigem Nutzen. Da war zunächst Michel von Derenburg (gest. 1549), der als Kreditvermittler eine Reihe deutscher und europäischer Herrscher stützte. Er war bekannt dafür, mit zwölfspänniger Kutsche und einer ganzen Entourage von Dienern selbst wie ein Fürst durch die Lande zu reisen und teilte in Sachen Goldbehang den Geschmack Joachims. Der hielt seine schützende Hand über ihn, als Michels Frau in Frankfurt an der Oder der Brunnenvergiftung beschuldigt wurde. Michel von Derenburg starb durch einen Treppensturz, kurz nachdem Joachim seine Freilassung nach einer Entführung erzwungen hatte. Die Flugschrift “Von Michel Juden Tode” deutete sein Ende als Ausdruck göttlicher Gerechtigkeit und machte Stimmung gegen die angeblich verjudete Mark Brandenburg. Trotz solcher Anfeindungen wurde Michel bezeichnenderweise nicht als Teufelsdiener oder Zauberer verdächtigt – anders als sein Nachfolger.

Lippolds Aufstieg

Lippold ben Chluchim stammte aus Prag und war als Kind mit seiner Familie nach Berlin gekommen. In den 1550er Jahren stieg er zur wichtigen Stütze Joachims auf. Er wurde Vorsteher der Juden Brandenburgs und damit verantwortlich für die Durchsetzung der diesen auferlegten Abgaben und Bürden. Joachim machte ihn darüber hinaus zu seinem Kämmerer, Hoffaktor und Münzmeister. Da der Geldwert an den Silbergehalt der Münzen gebunden war, ließ sich die Geldmenge – anders als heute – nur schwierig durch politische Entscheidungen vermehren. Die Juden Brandenburgs lieferten jährlich 3000 Mark Silber zur Münzprägung des Kurfürsten. Weil dies für Joachims Bedürfnisse nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, wurde der Silbergehalt der Münzen herabgesetzt und der Gebrauch soliderer ausländischer Münzen wie auch ungemünzter Edelmetalle als Zahlungsmittel untersagt. Letztere mussten zu festgesetzten Kursen abgeliefert werden, ansonsten drohten Hausdurchsuchung und Beschlagnahmungen. Kaufleute waren durch den Zwang zur Verwendung der inländischen Weichwährung zum Devisentausch gezwungen, der ihre Margen auffraß. Naturgemäß schädigt diese Art von Wirtschaftspolitik ein Land zwangsläufig zu Gunsten des zeitlich befristeten Nutzens einer dünnen Machtelite.
Neben dem Geldwechsel und dem Metallhandel betrieb Lippold auch allerlei andere Geschäfte mit Adligen und Bürgern. Für Darlehen nahm er Zinssätze von jenseits der 50 Prozent und behielt Pfänder auch bei kurzfristigem Zahlungsverzug ein. Weil quasi der gesamte Hofstaat bei ihm in der Kreide stand, büßten so einflussreiche Familien liebgewonnene Juwelen ein. Nahm Lippold selbst Darlehen auf, ging es mit der Rückzahlung weniger kleinlich zu. Im äußeren Auftreten orientierte er sich an seinem Vorgänger. Kurzum: Der Mann hatte eine ausgeprägte Begabung, sich erbitterte Feinde zu schaffen und war darum auf Gedeih und Verderb Joachim II. ausgeliefert, der seinerseits seinen pompösen Lebensstil auf eine zerrüttende Wirtschafts- und Währungspolitik stützte.
Nachdem Joachim II. am 3. Januar 1571 überraschend verstorben war, erbte sein Sohn Johann Georg einen gigantischen Schuldenberg. Brandenburg stand ein Umbruch bevor, und es war absehbar, dass so manche bislang hochrangige Persönlichkeit würde froh sein können, wenn es nur an Rang und Pfründen ging. Bezüglich seiner Mätresse Anna Sydow hatte Joachim vorgesorgt und Johann Georg das Versprechen abgenommen, sie zu schonen. Wie nötig das war, zeigt ein Brief, den der mit ihm verwandte Herzog von Braunschweig kurz nach Joachims Tod an Johann Georg schrieb: Er äußert darin seine Sorge, das „bose bludtlestrige schendiche Weib“ könne ungestraft davon kommen, wiewohl sie doch „nicht die geringste vrsach“ am plötzlichen Absterben Joachims gewesen sei. Zum „guten abscheulichen Exempell“ für andere solle der Erbe Sorge tragen, dass sie nicht ungestraft an Leib und Leben davon käme. Die „schöne Gießerin“, so ihr Spitzname, wurde bis an ihr Lebensende in der Zitadelle Spandau in Haft genommen. Der Sage nach wurde sie gar im von ihr zuvor bewohnten Jagdschloss Grunewald eingemauert und treibt deshalb seither als „Weiße Frau“ in den Schlössern der Hohenzollern ihr Unwesen.

Lippolds Fall

Nach Joachims Tod ließ Johann Georg die Berliner Stadttore verriegeln, damit von den Günstlingen des Vaters keiner entkäme. Auch Lippold ben Chluchim wurde arretiert und wegen Veruntreuung und Unterschlagung angeklagt. Trotz akribischer Buchprüfungen konnte ihm jedoch kein straffähiges Fehlverhalten nachgewiesen werden. Als nach fast zwei Jahren in Hausarrest seine unvermeidbare Freilassung nur noch wenige Tage bevorstand, geschah etwas gar Seltsames: Durch die Türe seiner Wohnung drangen Geräusche eines heftigen Streit an das Ohr der dort noch immer postierten Wächter, und sie hörten Lippolds Eheliebste Mararete keifen: “Wenn der Kurfürst wüsste, was Du für ein Schelm bist und was Du mit Deinem Zauberbuch alles zuwege bringst, dann würdest Du schon längst kalt sein!.” Damit wurde die Entlassung natürlich hinfällig, und obendrein wurde besagtes Zauberbuch bei der fälligen Durchsuchung tatsächlich gefunden. Lippold bat darum, ihm die Folter zu ersparen, und legte ein umfängliches Geständnis ab. Nun ging es nicht mehr um Unterschlagung, sondern um Zauberei und Giftmord an Joachim II., dem Lippold wohl am Abend vor dessen Ableben einen Becher Wein gereicht hatte. Seinem Geständnis nach hatte er den Teufel beschworen, sich ihm ergeben und einigen namhaft genannten Menschen durch Zauberei mit teils tödlichen Folgen geschadet. Sein Zauberbuch hatte ihn gelehrt, wie er sich den Kurfürsten gewogen machen konnte. Dass er seinen Gönner schließlich vergiftet hatte, erklärte Lippold durch den Diebstahl einer schweren Goldkette, den er auf diese Weise vertuschen zu können gehofft hatte. Am 28. Januar 1573 wurde Lippold ben Chluchim in Berlin hingerichtet. Wie üblich, sollte er sein Geständnis zu Beginn öffentlich wiederholen. Stattdessen widerrief er, wurde darauf erneut in eine Folterkammer gezerrt und dahin gebracht, das Widerrufene nun öffentlich für wahr zu bekennen. Man band ihn auf einen Wagen, der auf dem Weg zur eigentlichen Hinrichtungsstätte immer wieder Pausen einlegte, um an diesen Stationen einen Zangenriss zu zelebrieren. Den schwersten Schwerverbrechern wurde diese Strafverschärfung auferlegt, bei der ein Henkersknecht dem Delinquenten mit einer glühenden Zange ein Stück Fleisch aus dem Körper riss oder Finger abzwickte. Üblich waren ein bis drei solcher Griffe, für vier oder gar fünf musste man schon ein Massenmörder sein oder mutwillig die Pest ausgestreut haben. Lippold jedoch sollte zehn solcher Zangenrisse erdulden, so hatte es das Urteil des Brandenburger Schöppenstuhls gefordert. Auf dem neuen Markt folgte die eigentliche Hinrichtung, die mit einer Räderung begann. Nachdem Arme und Beine zertrümmert waren, schnitt ihm der Scharfrichter die „Virilia“ ab. Dann öffnete man seinen Brustraum, um seinen Herz herauszureißen und ihm „aufs Maul“ zu schlagen. Seine Eingeweide wurden in einen Zuber geworfen und zusammen mit dem verhängnisvollen Zauberbuch verbrannt. Dabei kam eine große Maus aus dem Flammen hervorgelaufen, wodurch allerletzte etwaige Zweifel an Lippolds Schuld bei den zahlrechen Zuschauern erstickt wurden. Es folgte einen Vierteilung und das Aufhängen der Gliedmaßen an verschiedenen Galgen. Der Kopf des Juden wurde auf die Spitze des Georgentores gesteckt. Seine Glaubensgenossen, die bereits unmittelbar nach seiner Verhaftung zwei Jahre zuvor zur Zielscheibe von Ausschreitungen geworden waren, wurden abermals des Landes verwiesen. Alle Schuldscheine wurden konfisziert, die Schulden annulliert und eine Abzugsgebühr für die Vertreibung erhoben, wodurch sich die Triebkräfte der Vorgänge hinreichend enthüllen.

„Liebster Teuffel…“

„Liebster Teuffel…“

Um zu Geld zu kommen, bedarf es in den meisten Fällen einer gewissen Entschlossenheit. Die kann man einem jungen Mann, der vor mehr als 300 Jahren einen Vertrag der ganz besonderen Art unterzeichnete, gewiss nicht absprechen. Die Unterschrift hat nämlich nicht von ungefähr eine andere Farbe als der Rest des Textes. Sie ist nicht mit Tinte geschrieben… Besagter Vertrag hat sich bis heute in einem alten städtischen Kassenbuch erhalten. Zusammen mit einigen zugehörigen Akten überliefert er eine gar sonderbare Geschichte.

Blutverschreibung

Ort des Geschehens: Jüterbog, eine kleine Provinzstadt im heutigen südlichen Brandenburg. In der Zeit nach dem 30jährigen Krieg gehörte das Städtchen zu Kursachsen, später zum neubegründeten Fürstentum Sachsen-Weißenfels. Bis heute hat sich dort viel mittelalterliche Bausubstanz erhalten. Zu der Zeit, in der sich unsere Geschichte ereignete, wird es darum gar nicht einmal so sehr viel anders ausgesehen haben.

Es ist ein Sonntag morgen im Mai des Jahres 1688, 8 Uhr. Justinian Friederich Pöpping sitzt in einer Stube im Hauses des Amtshauptmanns Adam Erst Löser. Der junge Mann, erst seit kurzem in seinen Diensten, beschäftigt sich mit einer Schnitzarbeit. Einen hölzernen Vogel möchte er bauen, wie er bei Schützenfesten als Zielscheibe dient.  Von der Köchin hat er sich ein dazu Messer geborgt. Es ist sehr scharf, und als er abrutscht, verletzt er sich am linken Daumen nahe dem hinteren Gelenk. Er beobachtet, wie sein Blut aus der Wunde hervorquillt. Der Anblick ruft einen Gedanken zurück, den es einige Tage zuvor schon einmal in ihm gedacht hatte. Kurzentschlossen greift Pöpping zu einer Feder, taucht sie in die Wunde und malt sorgfältig seinen Namen auf ein kleines Stück Papier, Buchstabe für Buchstabe. Dann setzt er mit gewöhnlicher Tinte einen knappen Text über die vorab geleistete Unterschrift. Er schreibt eine Obligation:

 

Unlesbar? Fahre mit der Maus über das Bild! Der unscheinbare Fetzen Papier ist ein echter Teufelspakt, stilecht mit Blut signiert – das einzige Stück dieser Art in Deutschland.

Es war keine wirklich gute Idee, auf ausgerechnet diese Weise nach finanzieller Unabhängigkeit zu streben – sofern bei dem erstaunlich bescheidenen Betrag davon überhaupt die Rede sein kann. Justinian Pöpping stand erst einige Tage in Diensten in Jüterbog – vielleicht gefiel es ihm hier nicht. Als die Verschreibung abgeschlossen ist, verlässt er das Haus und geht über den Neumarkt. Damit Satan es an sich nehmen soll, legt er das Papier gleich nach der Niederschrift an einem Baum vor dem Stadttor nieder. Nach wenigen Minuten jedoch packen ihn Bedenken – er eilt zurück zu dem Platz und nimmt den Pakt wieder an sich. Wieder daheim, fällt er ihm jedoch unbemerkt aus der Tasche. Prompt stolpert der Hauslehrer seines Dienstherren darüber. Der übergibt den leichtfertigen Burschen samt dem Corpus delicti dem Jüterboger Stadtgericht.

Die Rechtslage scheint auf den ersten Blick klar zu sein. “So jemands in vergessunge seines Christlichen glaubens/ mit dem Teuffel vorbündnüs auffrichtet vumbgehet/ oder zuschaffen hat, das dieselbige Person/ ob sie gleich mit Zeuberey niemandts schaden zugefügt/ mit dem Fewer vom leben zum tode gericht / vnd gestrafft werden sol.” Dieser Passus aus den Kursächsischen Konstitutionen von 1572 scheint gerade solche Fälle im Blick zu haben. Hexen und Zauberer schadeten anderen Menschen und wurden gerade deshalb verfolgt. Hier in der sächsischen Gesetzgebung ist dagegen erstmals davon die Rede, dass die Strafwürdigkeit bereits früher einsetzt, mit der bloßen Abwendung von Gott, auch ohne Schadenszauber. Die Härte der damaligen sächsischen Justiz ist fast sprichwörtlich, und auch moderne Historiker werden nicht müde, diesen Passus als Meilenstein der Verschärfung von Hexenverfolgungen zu bezeichnen.

Die Realität sieht deutlich anders aus. Zunächst holt das Jüterboger Stadtgericht ein Rechtsgutachten bei der Magdeburger Juristenfakultät ein. Das ist der normale Gang eines solchen Verfahrens, bei dem erst einmal zu klären ist, ob das Hauptverfahren eröffnet und der Verdächtige nötigenfalls auch unter Folter befragt wird. In Magdeburg winkt man ab: 50 Taler Buße, vorher auspeitschen den Kerl, und dann raus mit ihm aus der Stadt! Seine Vater soll sich des missratenen Zöglings annehmen. Ein vernünftiges, mildes Urteil in einer Zeit, in der auch Kinder bei weitaus weniger eindeutiger Beweislage als Zauberer hingerichtet wurden.

Justinian Friederich Pöpping stammte aus gutem Hause. Sein Vater Dr. Johann Friedrich Pöpping war ein namhafter Jurist, Syndikus des Halberstädter Domkapitels und zudem kurbrandenburgischer Rat. Der Onkel mütterlicherseits war der Domprediger Johann Melchior Götze. Trotz der bereits milden Strafe – die Prügel sollte diskret und damit ehrschonend nicht-öffentlich stattfinden – intervenierte die Familie mit einem Gnadengesuch bei Herzog Johann Adolph. Die nun zusätzlich eingeschalteten Wittenberger Juristen befürworteten darauf sogar noch den Verzicht auf die Prügelstrafe. Auch ob die Geldbuße bezahlt wurde, ist einigermaßen fraglich. Naheliegenderweise wurden solche Teufelsverträge im Falle des Auffindens gewöhnlich verbrannt. Dass dieser erhalten blieb, liegt vorrangig daran, dass er wie ein Pfand aufgehoben wurde. Denn Geld konnte auch der Herzog brauchen…

Fälle dieser Art, bei denen es also nicht oder nicht vorrangig um Zauberei, sondern um einen Teufelspakt im Stile des Dr. Faustus geht, sind eines meiner langjährig verfolgten Forschungsprojekte. Inzwischen sind mir etwa 150 solcher Teufelsbündner alleine im deutschsprachigen Raum bekannt, die sich grob in drei Gruppen einteilen lassen:

  • echte Teufelsverschreibungen. Die kamen häufiger vor als man vermuten sollte, sie sind nur extrem selten erhalten. Die von der Justiz ausgehende Gefahr war, abhängig von Ort und Zeit, im Allgemeinen gering. Was den Teufel selbst betrifft, so darf man annehmen, dass Burschen wie Pöpping beabsichtigten, diesen aufs Kreuz zu legen. Die Kunst besteht darin, beizeiten abzuspringen. Geistliche waren dabei gerne behilflich, und darum gab es auch sehr viele…
  • Hochstapler. Es traten oft Leute auf, die sich selbst eines Teufelspaktes bezichtigten, um sich dann „retten“ zu lassen. Man konnte auf diese Weise Aufmerksamkeit erregen und in den Genuss materieller Versorgung kommen, da ja vorgeblich die Armut einen zu solch verzweifeltem Schritt getrieben hatte. Das Hineinschlüpfen in diese Rolle konnte jedoch auch allerlei weitere Motive in sich bergen, beispielswiese den Versuch, dem Militärdienst zu entkommen.
  • Zaubereiprozess „light“: Eher die Ausnahme ist, was man eigentlich als besonders häufig annehmen sollte, nämlich im Stile von Hexenprozessen abgepresste Geständnisse eines Teufelsbundes. So etwas kam mitunter vor, wenn bei ungewöhnlichen weltlichen Verbrechen nach einem Motiv gesucht wurde. Weil dann der Teufelsbund lediglich das eigentliche Verbrechen „erklärte“, bestand kein Grund, weitere Hexen-Stereotype im Verhör abzufragen.

Der häufigste Typ unter den Teufelsbündnern sind klar die Selbstdarsteller, bei denen sich übrigens nur in seltenen Ausnahmefällen Hinweise auf psychische Krankheiten finden lassen. Dass man diese überwiegend als „verlorene Schäflein“ und nicht etwa – wie Hexen – als Ausnahmeverbrecher betrachtete, erklärt auch die nur auf den ersten Blick überraschend milde Strafe Justinus Pöppings. Letztlich verbirgt sich hinter dem Widerspruch zwischen der scharfen Gesetzeslage und der laschen Praxis ein Kompetenzkonflikt zwischen Juristen und Theologen. Während die Rechtsgelehrten zeitweilig vergeblich ein neues Kapitalverbrechen zu definieren versuchten, setzte die lutherische Geistlichkeit sich durch mit dem Anspruch, verirrte Seelen zu reintegrieren.

Literaturhinweis:

Gabor Rychlak: „Hast Du keine größere Sünde getan?“ – Ein Teufelspakt aus Jüterbog. Heimatjahrbuch Teltow-Fäming 2021, S. 103-115.